Redebeitrag in Pforzheim 2017 der DGB Pforzheim/Enzkreis

Guten Tag zusammen,

ich spreche für den DGB Pforzheim/Enzkreis, um Euch in Pforzheim zu begrüßen. Da, wo wir gerade stehen, stand ein Zuchthaus, aus dem unliebsame Personen in die damaligen Ausländer wie Württemberg oder die Pfalz abgeschoben wurden. Das ist schon über 250 Jahre her, aber Abschiebungen fanden auch zu anderen Zeiten statt, unter anderen Vorzeichen, mit anderen gesetzlichen Grundlagen, betroffen waren zum Teil andere Personengruppen.

Ich berichte über das Pforzheimer Gefängnis an der Rohrstraße, wir werden nachher ja dorthin gehen. Ich zitiere aus einem Zeitungsartikel der Lokalpresse:

Am Abend des 18.5. verlangt eine große Menschenmenge in der Schillerstraße und in der Großen Gerbergasse die Ausweisung der dort wohnenden Flüchtlinge: ‚da ihre persönliche Sicherheit gefährdet war, wurden sie von der Polizei in Schutzhaft genommen‘“.

Der Bericht über den rassistischen Mob stammt nicht von 2015 oder von 2016, sondern von 1933. Statt „Flüchtlinge“ heißt es im Original „ausländische Juden“ – der Rest ist gleich: Die Betroffenen werden im Knast eingesperrt und dann abgeschoben. Über ihr Schicksal damals ist nichts bekannt – heute ist das nicht anders.

Dieser Mann, Pfarrer Heinz Kappes, sitzt im selben Gefängnis, weil er gegen den Antisemitismus der Nazis protestiert hatte. Nach 10 Tagen kommt er frei, wird aber des Landes verwiesen, also nach Württemberg abgeschoben. – Er überlebt, weil er 1935 nach Palästina auswandert.

Der junge Mann links am Bildrand ist Arnold Mazur. Er gehört zu den mindestens elf nicht-deutschen Juden, die am 28. Oktober 1938 aus Pforzheim an die polnische Grenze abgeschoben werden. Die Schicksale der elf Deportierten sind dokumentiert: Nur Arnold Mazur überlebt die Deportation. – Abschiebung in den Tod.

Der Mann heißt Simon Bensinger. Er ist zwei Wochen später von Abschiebung betroffen, am 10. November 1938, also nach der Zerstörung der Synagoge. Ihn sperren die Nazis mit mindestens 22 weiteren jüdischen Männern ins Gefängnis und schieben dann alle per Reichsbahn ins Konzentrationslager Dachau ab. Folgen sind Misshandlungen und die erzwungene Unterschrift unter die Erklärung, Deutschland umgehend zu verlassen. – „Freiwillige“ Ausreise ?

[Portrait J. Helmstädter]

Dieser Gewerkschafts-Kollege heißt Julius Helmstädter. Nach dem Attentatsversuch am 20. Juli 1944 läuft eine Verhaftungswelle, genannt „Aktion Gitter“. Betroffen aus Pforzheim sind 15 Nazi-Gegner, meist frühere SPD- oder KPD-Stadtverordnete. Die Nazis bringen sie über die Gestapo in der Bahnhofstraße ins Gefängnis. Von dort werden sie nach einigen Tagen über das Gefängnis Karlsruhe ins Konzentrationslager Dachau abgeschoben. Julius Helmstädter überlebt nicht. – Abschiebung in den Tod.

Diese Frau heißt Noor Inayat Khan, sie war britische Agentin gegen die Nazis. Sie wird am 11. September 1944 aus dem Gefängnis Pforzheim über den Knast in Karlsruhe und dann ins Konzentrationslager Dachau „verschoben“ – so heißt das damals. 2 Tage später, am 13. September 1944, ermorden die Nazis diese Widerstandskämpferin im KZ Dachau – Abschiebung in den Tod.

Dieser Gedenkstein an der Tiefenbronner Strasse erinnert an 25 Mitglieder der Résistance, die die Nazis aus Frankreich nach Pforzheim verschleppt hatten. Am 30. November 1944 holt ein Gestapo-Trupp sie aus dem Gefängnis heraus und ermordet sie am Rande eines Bombentrichters im Hagenschieß. – Depotation in den Tod.

Am 14. Februar 1945 schieben die Nazis 17 „nicht-arische“ Partnerinnen bzw. Partner von sogenannten „Mischehen“ aus Pforzheim ab. Nach 4 Tagen und 3 Nächten kommen sie im Konzentrationslager Theresienstadt nördlich von Prag an. 16 von ihnen werden am 8. Mai 1945 von der Roten Armee befreit. – Abschiebung in den Tod.

Viele der zwischen 1933 und 1945 aus Pforzheim und aus dem Gefängnis Abgeschobenen stammten aus Familien, die vor dem 1. Weltkrieg vor Verfolgung in ihrer Heimat in Osteuropa geflohen waren – heute heißen die Herkunftsländer eben Afghanistan, Syrien, Irak, Eritrea, Iran, auch Nigeria und Somalia.

Das Gefängnis an der Rohrstraße war ab 1933 zudem die erste Adresse von Gegnern der Nazis, von Kommunisten und Sozialisten, von Sozialdemokraten und Zeugen Jehovas, von Gewerkschaftern und Kriegsdienstverweigerern, von „Rundfunk-Verbrechern“ und von widerständigen Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeitern.

Übrigens: Die Stadt Pforzheim wollte nicht, dass die Jugendstrafanstalt, eine Resozialisierungseinrichtung, in der Jugendliche Schulabschlüsse nachmachen bzw. eine Berufsausbildung absolvieren konnten, zum Abschiebeknast wird.

Der Zwischenstopp hier hat etwas mit dem Güterbahnhof zu tun: Der Prellbock mit den Gleisen erinnert an die größte Massenabschiebung aus Pforzheim. Ziel war das Lager Gurs in Südfrankreich. Am 22. Oktober 1940 holen die Nazis fast 200 Menschen frühmorgens aus ihren Wohnungen. Sie bringen sie nicht ins Abschiebe-Gefängnis an der Rohrstraße, dort hat es für so viele Menschen einfach keinen Platz, sondern gleich zum Güterbahnhof. Von den ins Lager Gurs Deportierten 195 Menschen aus Pforzheim überleben nur 55 den Terror der Nazis. – Abschiebung in den Tod.

Zur Erinnerung gehört aber auch etwas anderes:

Damals gab es – nicht nur in Pforzheim – Menschen, die Verfolgten und von der Abschiebung in den Tod Bedrohten zur Flucht verhalfen oder sie vor dem Zugriff der Nazis versteckten. Fluchtwege führten über die Deckadresse in der St. Georgenstraße und das Pfarrhaus in Schwann, dann über die grüne Grenze in der Pfalz, mit dem Paddelboot oder im Fischernachen über den Rhein, mit gefälschten Papieren am Basler Bahnhof…

Auch wir haben eine Geschichte,

es gibt zu tun, deswegen sind wir ja hier.

Ich danke für die Aufmerksamkeit.

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